Markus Koob MdB

Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Die deutsche Ratspräsidentschaft fand in einer für die Europäische Union äußerst herausfordernden Zeit statt. Es mussten die Grundlagen für die Bewältigung der COVID-19-Pandemie gelegt, die EU besser für Krisen gewappnet und die EU gleichzeitig in Bezug auf Klimaschutz, Digi­talisierung und ihre Souveränität nach innen wie nach außen gestärkt werden. Diese Herausforderun­gen wurden angenommen und gemeinsam europäische Antworten formuliert. Um Ziel und Motto der EU-Ratspräsidentschaft – Gemeinsam. Europa wieder stark machen“ – umzu­setzen, wurde mit klarer Schwerpunktsetzung für ein handlungsfähigeres und innovati­veres sowie gerechtes und nachhaltiges Europa eingetreten.

Quelle: CDU/ Yvonne HerrmannQuelle: CDU/ Yvonne Herrmann

Mit der historischen Einigung im Rat auf den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU (2021-2027) sowie zum Aufbauprogramm „Next Generation EU“ (NGEU) ist es der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gelungen, eine der wichtigsten Aufgaben erfolgreich abzuschlie­ßen. Diese Einigung ist das Ergebnis herausfordernder Gespräche und Verhandlungen der letzten Tage, Wochen und Monate. Damit setzt die EU ein eindrucksvolles Zeichen von So­lidarität und Handlungsfähigkeit angesichts der Krise. Und mehr als das: Die EU macht sich „fit für die Zukunft“. Mit den finanziellen Mitteln aus MFR und NGEU können die gro­ßen Herausforderungen der kommenden Jahre in Angriff genommen werden, gerade auch in den Zukunftsfeldern im Bereich von Nachhaltigkeit, digitalem Wandel und Biodiversität.

Die Rechtsstaatlichkeit gehört zum Wertefundament des europäischen Projekts. Der neue Konditionalitätsmechanismus stärkt die Rechtsstaatlichkeit in der EU und ihren Mitglied­staaten und schützt den EU-Haushalt vor Missbrauch. Im Kern kann die Europäische Kom­mission künftig Maßnahmen vorschlagen, wenn im Zusammenhang mit der Vergabe von EU-Geldern gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstoßen wird. Der deutschen Präsidentschaft war es dabei ein wichtiges Anliegen, dass durch die erläuternden Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Dezember die Substanz des Mechanismus und der Text der Verordnung erhalten bleiben.

Die EU hat mit dieser Einigung ihre Handlungsfähigkeit bewiesen und trotz schwieriger Verhandlungen gezeigt, dass die Mitgliedstaaten füreinander und gemeinsam für das europäische Projekt einstehen. Jetzt muss alles daran gesetzt werden, dass die Mittel rasch bei den betroffenen Mitgliedstaaten und den Menschen in Europa ankommen!

Mit der Einführung des neuen Rechtsstaatsdialogs im Rat wurde erstmals ein präven­tives Instrument geschaffen, das einen offenen und konstruktiven Dialog zum Thema zwi­schen den Mitgliedstaaten ermöglicht. Auf Grundlage des ersten jährlichen Rechtsstaatsberichts der Europäischen Kommission wurde erfolgreich sowohl eine horizontale als auch eine länderspezifische Aussprache im Rat geführt, was es ermöglicht hat, auch die Lage in einzelnen Mitgliedstaaten in den Blick zu nehmen. Dieser Rechtsstaatsdialog ermög­licht es, von den Erfahrungen anderer gegenseitig zu lernen und ein besseres, gemeinsa­mes Verständnis von Rechtstaatlichkeit in der EU zu gewinnen. Es kann auch dabei helfen, problematische Tendenzen frühzeitig zu identifizieren.

Bei der Bewältigung der Pandemie ist es der deutschen Ratspräsidentschaft gelungen, die Zusammenarbeit und Koordi­nierung zu den verschiedenen Maßnahmen innerhalb der EU systematisch zu verbessern. Es ist dadurch gelungen, Grenzschließungen zu vermeiden und damit Schengen auch zu Hochzeiten der Pandemie zu erhalten. Auch für die Beschaffung und gleichzeitige Verteilung von Impfstoffen wurden Kräfte gebündelt. Effizienz und Solidarität sind elementar, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Union gerade in dieser überlebenswich­tigen Frage zu erhalten und zu stärken.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat sich für ein effektives europäisches Außenhandeln und die Stärkung der europäischen Souveränität eingesetzt. Denn nur als global handlungs­fähiger Akteur können wir als EU unsere Werte nach außen vertreten und verteidigen und die geopolitischen Herausforderungen meistern.

Besonders wichtig war, dass wir als EU der künftigen US-amerikanischen Regierung ein umfangreiches Kooperationsangebot unter­breiten konnten – im Sinne eines „New Deal“ zur Wiederbelebung unserer transatlantischen Partnerschaft. Auch die Frage des richtigen Umgangs mit China hat sich durch die Ratspräsidentschaft gezogen: Insgesamt konnte während der Ratspräsidentschaft die EU-Geschlossenheit zum Thema China weiter gestärkt werden. Auch wenn aufgrund der Pandemielage auf das EU-China-Treffen der Staats- und Regierungschefs verzichtet werden muss­te, setzte Deutschland einerseits mit der Vereinbarung eines Hochrangigen EU-China-Dialogs zur Klimapolitik die Politik der Kooperation fort. Andererseits wurden unsere gemeinsa­men Werte geschlossen vertreten, unter anderem durch EU-Erklärungen und Ratsschlussfol­gerungen zur Situation in Hongkong. In der EU-Ratspräsidentschaft ist es Deutschland zudem gelun­gen, die EU-ASEAN-Beziehungen zu einer Strategischen Partnerschaft aufzuwerten. Das ist mir besonders als Berichterstatter meiner Fraktion für die ASEAN-Staaten von großer Bedeutung. Zur Umsetzung der fünf EU-Prinzipien für die Beziehungen zu Russland erfolgte eine Bestands­aufnahme mit Blick auf ihre vollumfängliche Implementierung in der Zukunft. Mit dem von Deutschland initiierten Treffen der EU mit den Außenministerinnen und Außenministern aus Latein­amerika und der Karibik wurde von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ein konkreter Schritt unternommen, um unsere Beziehungen auch mit dieser Region zu intensivieren.

Die EU-Ratspräsidentschaft hat Verantwortung übernommen und das EU-Engagement zur Bewältigung internatio­naler Krisen intensiviert, sei es bei der Konfliktlösung in Libyen im Rahmen des Berliner Prozesses oder mit Sanktionen gegen das repressive Regime in Belarus und die Unter­stützung für die dortige Opposition. Gegen russische Beteiligte an dem Giftanschlag auf Alexej Nawalny verhängte die EU restriktive Maßnahmen. Schließlich wurde nach intensiven Bemühungen um eine Deeskalation im östlichen Mittelmeer angesichts der anhal­tenden Provokationen der Türkei auf EU-Ebene beschlossen, weitere Sanktionen zu verhän­gen, gleichzeitig aber das Angebot der Rückkehr zu einer positiven gemeinsamen Agenda aufrecht zu erhalten.

Zur europäischen Souveränität gehört auch digitale Souveränität. Diese hat Deutschland mit Initi­ativen wie dem Gaia X-Projekt für eine sichere und vernetzte europäische Dateninfrastruktur gestärkt und Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz und Datenpolitik auf politischer Ebene vorangebracht.

Es ist in der deutschen Ratspräsidentschaft gelungen, die für die erste Beitrittskonferenz nötigen Verhandlungsrahmen mit Albanien und Nordmazedonien auf Grundlage der neuen Bei­trittsmethodik weitestgehend zu finalisieren – auch wenn die erste Beitrittskonferenz trotz intensiver Gespräche aufgrund des Vetos eines Mitgliedstaats bislang nicht durch­geführt werden konnte.

Auch das Ziel der Stärkung der EU-Krisenreaktionsfähigkeit im Außenhandeln konnte erreicht werden: So ist es mit Annahme des EU-Menschenrechtssanktionsregimes unter deutscher Ratspräsidentschaft gelungen, die EU mit einem weiteren Instrument für ein star­kes, wertebasiertes Außenhandeln auszustatten. Im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat Deutschland einerseits im zivilen Bereich mit der Eröffnung des Eu­ropäischen Kompetenzzentrums für Ziviles Krisenmanagement in Berlin einen wichti­gen Beitrag für eine Stärkung des EU-Handelns geleistet. Mit dem in unserer Ratspräsi­dentschaft begonnenen Prozess zur Erarbeitung des Strategischen Kompasses sowie mit dem Beschluss zur Beteiligung von Drittstaaten an der Ständigen Strukturierten Zusammenar­beit („PESCO“) tragen wir andererseits zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten im militäri­schen Bereich bei. Mit der angestrebten politischen Einigung auf eine Europäische Friedensfazilität wollte Deutschland zudem die Grundlage legen, dass die EU in Zukunft auch Drittstaaten im Verteidigungsbereich ertüchtigen und so zu mehr eigener Verantwortungsübernahme befähi­gen kann.

Die Konferenz zur Zukunft Europas wird Deutschland auch nach Abschluss der Ratspräsi­dentschaft eng begleiten. Ziel ist ein breit angelegter und europaweiter Diskurs mit Bürge­rinnen und Bürgern über die längerfristigen Ziele der Europäischen Union, auch unter Ein­bindung der nationalen Parlamente und der Zivilgesellschaft. Die Grundlagen der Konferenz – eine Gemeinsame Erklärung von Rat, Kommission und Europäischem Parlament zu Inhal­ten, Ablauf und Struktur – sind in unserer Ratspräsidentschaft weit gediehen.

Diese vorläufige Bilanz soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Arbeit noch bis zum letzten Tag unserer Ratspräsidentschaft weitergeht: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft setzt sich weiterhin für einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen zum zukünftigen Verhältnis mit dem Vereinig­ten Königreich ein und bereiten parallel die notwendigen Notfallmaßnahmen vor für den Fall, dass kein Abkommen erzielt werden kann. Denn hier gilt weiterhin: Ein Abkommen wäre in beiderseitigem Interesse – aber nicht um jeden Preis; die Integrität des europäischen Binnenmarkts muss gewahrt bleiben.

Auch nach Ende unserer Ratspräsidentschaft ist Deutschland bereit, seinen Beitrag zur Stärkung der Solidarität und Souveränität Europas zu leisten. Portugal plant als nach­folgende Präsidentschaft viele der für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft zentralen Dossiers fortzuführen und ent­schlossen voranzubringen. Dabei wird die deutsche Bundesregierung ihre Trio-Partner Portugal sowie anschlie­ßend Slowenien tatkräftig unterstützen.