Stellungnahme zum geplanten Gesetz des Bundesministeriums für Gesundheit zum Versandhandel rezeptpflichtiger Arzneimittel
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
ich habe in den letzten Tagen und Wochen eine Vielzahl von Zuschriften von Ihnen erhalten, die alle dieselbe Sorge teilen. Die niederländische Online-Apotheke Doc-Morris hat für ihre Kundinnen und Kunden Schreiben an die jeweiligen Bundestagsabgeordneten vorgefertigt – Lobbyismus einmal anders. Sie alle haben Sorge vor einem voraussichtlich in naher Zukunft im Deutschen Bundestag beratenen Gesetz. Ich möchte die Bedenken sehr gerne aufnehmen, die Probleme aber auch von anderen Standpunkten aus beleuchten und um Verständnis bitten.
Nach der Arzneimittelpreisverordnung gilt in Deutschland bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ein fester Preis. Die Gewährung von Preisnachlässen ist somit grundsätzlich unzulässig. Diese Regelung galt bis zum Urteil des EuGH im letzten Jahr unabhängig davon, ob das Arzneimittel durch die Apotheke vor Ort oder eine Versandapotheke im In- oder Ausland abgegeben wurde. Der EuGH hat neu entschieden, dass diese Regelung eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs für Versandapotheken aus dem europäischen Ausland darstellt. Damit verstößt die Anwendung der Arzneimittelpreisverordnung für Versandapotheken des europäischen Auslands gegen europäisches Recht. Inländische Apotheken vor Ort bzw. Versandapotheken sind aber weiterhin an die Arzneimittelpreisverordnung gebunden, d. h. es gilt ein fester Preis pro verschreibungspflichtigem Medikament und es können keine Rabatte gewährt werden.
Wie Sie daraus erkennen können, haben die Versandapotheken im europäischen Ausland damit jetzt einen klaren Wettbewerbsvorteil, da sie Versicherten – anders als inländische Apotheken – erhebliche Preisnachlässe gewähren können. Aus unserer Sicht müssen wir auf diese Folge des Urteils reagieren. Unser Ziel ist es, gleiche Rahmenbedingungen für alle Apotheken zu schaffen, so dass auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige, flächendeckende Arzneimittelberatung und -versorgung vor Ort von akut oder chronisch kranken Patienten sichergestellt ist – schließlich könnten auch Sie in einem Notfall auf die Apotheke vor Ort angewiesen sein.
Als Bundestagsabgeordneter, der mit dem Wahlkreis 176 eine relativ ländlich geprägte Region im Deutschen Bundestag vertreten darf, bin ich in meiner politischen Arbeit tagtäglich bemüht, einen bestmöglichen Interessensausgleich zwischen dem städtischen und ländlichen Raum herzustellen. Das von Ihnen angesprochene Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, zu dem das Bundesministerium für Gesundheit einen Gesetzentwurf erarbeitet hat, der sich derzeit noch in der regierungsinternen Abstimmung befindet, ist eine Möglichkeit auf das Urteil zu reagieren und damit wieder Wettbewerbsgleichheit zwischen örtlicher Apotheke und ausländischer Versandapotheke herzustellen.
Denn eines ist doch klar: Wir müssen einen ruinösen Preiswettbewerb, der insbesondere zu Lasten kleinerer Apotheken im ländlichen Raum geht, vermeiden, weil wir auf diese Apotheken angewiesen sind. Anders als Versandapotheken stellen Apotheken vor Ort die medizinische Flächenversorgung, auch an Wochenenden oder in der Nacht, inklusive notwendiger Beratung sicher und erfüllen damit für den ländlichen Raum auch eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe, die meiner Meinung nach nicht durch Wettbewerbsverzerrung zerstört werden darf. Für mich als Kommunalpolitiker überwiegt aus Gründen der öffentlichen Daseinsvorsorge das Interesse aller Patienten an einer flächendeckenden, wohnortnahen Versorgung durch die Apotheke vor Ort. Das Interesse einzelner Patientengruppen an finanziellen Vorteilen durch alternative Vertriebswege ist verständlich, muss sich aber am Interesse des Gemeinwohls messen lassen.
Es leuchtet mir voll und ganz ein, dass es für internetaffine chronisch erkrankte immobile Menschen große Vorteile hat im Internet preiswertere verschreibungspflichtige Medikamente zu bestellen. Bedauerlicherweise funktioniert dies nur auf Kosten der Apotheken vor Ort. Wären die Apotheken vor Ort aber erst einmal der Preisschlacht ausgesetzt, würden sie langfristig insolvent gehen, und das hervorragende weitestgehend flächendeckende medizinische Versorgungssystem in Deutschland wäre weg und könnte nicht zurückgeholt werden. Dann ist die medizinische Grundversorgung eines jeden Menschen in Deutschland in Gänze abhängig von Internetaffinität, Zuverlässigkeit der Logistikbranche, weniger werdenden Ärzten und weiter entfernten Krankenhäusern. Auch mal soeben ein nicht verschreibungspflichtiges Medikament wie Schmerztabletten oder Nasensprays auf dem Nachhauseweg in der Apotheke abzuholen, wäre dann nicht mehr möglich. Krankheiten richten sich aber leider nicht nach Lieferzeiten. Es gilt daher, Versandhandel und Apotheken vor Ort einem fairen Wettbewerb zu ermöglichen, der die Existenz der Apotheken vor Ort nicht grundsätzlich gefährdet.
Im Rahmen der anstehenden parlamentarischen Beratungen wird natürlich eine öffentliche Anhörung durchgeführt, sodass sowohl Kritiker als auch Befürworter des Vorhabens die Gelegenheit bekommen werden, Stellung zu nehmen. Die vorgetragenen Positionen und Argumente werden wir in die sich anschließende parlamentarische Diskussion einfließen lassen und selbstverständlich ergebnisoffen diskutieren. Es bleibt aber vorerst abzuwarten, wie der Gesetzentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit nach der Ressortabstimmung im Detail aussehen wird, wenn er in den Deutschen Bundestag eingeht.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Markus Koob, MdB